„Sammelwohnungen“ im vierten Bezirk

Anmeldepflicht 1939

Die Verteilung der Beute wollte sich die NSDAP nach Möglichkeit selbst vorbehalten: Veröffentlichung in der Wiener Zeitung vom 11. März 1939

Trotz der erzwungenen Abwanderung verblieben etliche Jüdinnen und Juden auch nach 1939 vorerst noch auf der Wieden. Allerdings wurden auch hier die meisten in einigen wenigen „Sammelwohnungen“ zusammengedrängt. Eine solche befand sich in der Mühlgasse 11,1 von wo aus mindestens 15 Personen deportiert wurden.2 Zu diesen zählte auch der im Dezember 1884 in Wien als Richard Löwy geborene Buchhändler und Kunstsammler Richard Lanyi.3 Er wurde Anfang Februar 1942 von der Gestapo verhaftet, in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert und am 28. Mai 1942 ermordet.4

 

Aus Berichten des Bezirkspolizeikommissariats Wieden vom April und Juni 1947 geht hervor, dass sich in der Mommsengasse 13 eine weitere „Sammelwohnung für rass. Verfolgte“5 befand. Eingerichtet hatte man diese in der „Wohnung eines gewissen Rimler, Angehöriger des israelitischen Glaubens“.6 Bis zum 26. Februar 1941 wohnten in der Mommsengasse 13 sieben Verfolgte, darunter auch die 1862 geborene Berta Riemler und die 1888 geborene Blanka Rimler. An diesem Tag wurden alle in der Wohnung Untergebrachten gemeinsam mit über 2.000 anderen WienerInnen in das Ghetto Opole in Ostpolen deportiert. Jene, die nicht bereits dort verstarben, wurden zwischen März und Oktober 1942 in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor gebracht und dort ermordet.7 Ab dem 16. Juni 1941, vier Monate nach der Verschleppung der jüdischen BewohnerInnen aus der Mommsengasse, war in der einstigen Wohnung von Rimler der Gestapo-Beamte Viktor Siegel gemeldet. Nach einer 1947 zu Protokoll gegebenen Aussage einer Zeugin hatte dieser die Wohnung gewaltsam in seinen Besitz gebracht,8 weshalb nach dem Krieg der begründete Verdacht bestand, dass er sich „einer Arisierung schuldig gemacht“9 habe. Die Staatsanwaltschaft Wien leitete gegen Siegel aufgrund mehrerer Verdachtsfälle10 Voruntersuchungen ein, kam allerdings am 1. März 1950 zu der unverständlichen Erkenntnis, dass bezüglich „Wohnungsarisierung […] zur weiteren gerichtlichen Verfolgung des Dr. Viktor Siegel kein Grund“11 bestehe. Auch für seine Tätigkeit für die Gestapo – er hatte in der Gestapo-Zentrale am Morzinplatz die geraubten Wertgegenstände der Opfer verwaltet – zog man ihn nicht zur Rechenschaft. Lediglich wegen seiner illegalen NSDAP- und SS-Mitgliedschaft vor 1938 wurde Siegel angeklagt – und am 30. März 1950 prompt auch in diesen beiden Punkten freigesprochen.12

Matthias Kamleitner

  1. 1) . Vgl. Nationalsozialismus auf der Wieden, QWien, URL: http://www.wieden800.at/w800/flip/11/files/assets/downloads/publication.pdf (24. 5. 2015).
  2. 2) Vgl. DÖW, Opfersuche, URL: http://www.doew.at/personensuche (Einträge mit Adresse „Wien 4, Mühlgasse 11“, 18. 8. 2015).
  3. 3) Vgl. Niederacher, Dossier Lanyi, 3. Online verfügbar unter URL: http://kunstkultur.bka.gv.at (30. 5. 2015).
  4. 4) Vgl. DÖW, Opfersuche, URL: http://www.doew.at/personensuche (Eintrag Lanyi Richard, 4. 3. 2015).
  5. 5) WStLA, 2.3.14 Volksgericht Wien, A1-Vg Vr Strafakten, Vg 3a Vr 589/47 (Viktor Siegel).
  6. 6) WStLA, 2.3.14 Volksgericht Wien, A1-Vg Vr Strafakten, Vg 3a Vr 589/47 (Viktor Siegel).
  7. 7) Vgl. DÖW, Opfersuche, URL: http://www.doew.at/personensuche (Einträge mit Adresse „Wien 4, Mommsengasse 13“).
  8. 8) Vgl. WStLA, 2.3.14 Volksgericht Wien, A1-Vg Vr Strafakten, Vg 3a Vr 589/47 (Viktor Siegel).
  9. 9) [1] Vgl. WStLA, 2.3.14 Volksgericht Wien, A1-Vg Vr Strafakten, Vg 3a Vr 589/47 (Viktor Siegel).
  10. 10) Gegen Viktor Siegel wurde außerdem aufgrund seiner illegalen NSDAP- und SS-Mitgliedschaft, sowie wegen einer möglichen Gestapo-Abteilungsleiterschaft und seiner Oberaufsicht im Arbeitserziehungslager Oberlanzendorf bei Wien ermittelt. Vgl. WStLA, 2.3.14 Volksgericht Wien, A1-Vg Vr Strafakten, Vg 3a Vr 589/47 (Viktor Siegel)
  11. 11) Vgl. WStLA, 2.3.14 Volksgericht Wien, A1-Vg Vr Strafakten, Vg 3a Vr 589/47 (Viktor Siegel)
  12. 12) Vgl. WStLA, 2.3.14 Volksgericht Wien, A1-Vg Vr Strafakten, Vg 3a Vr 589/47 (Viktor Siegel)

Vom "Anschluss" zum Holocaust