Gerhard Bronner

Gerhard Bronner

Nachdem Italien, Jugoslawien und Griechenland keine Transit-Visa für Flüchtlinge mehr ausstellten und damit die Durchreise verhinderten, erlangte die Donau als Fluchtroute stärkere Bedeutung. Sie galt als internationales Gewässer – auf Schiffen ließ sich daher das Schwarze Meer auch ohne Visum erreichen.1 Auf diese Weise gelangte 1938 auch der 15-jährige Gerhard Bronner illegal nach Palästina.2 Er hatte mit seinen beiden älteren Brüdern Emil und Oskar und ihren Eltern Jakob und Rosa Bronner die ersten Jahre seines Lebens in Favoriten verbracht, bevor die Familie 1927 in die Mommsengasse auf der Wieden übersiedelt war.3 Diese lag näher zum Handwerksbetrieb, den Jakob Bronner als Tapeziermeister am Wiedner Gürtel besaß.4 Die ganze Familie war sozialdemokratisch engagiert – Emil Bronner fiel als Schutzbündler in den Februarkämpfen 19345 gefallen. Nach dem „Anschluss“ sah sich auch Jakob Bronner mit Begehrlichkeiten potentieller „Ariseure“ konfrontiert, ließ sich davon zunächst aber nicht beirren. Michael Bittner, ein 58-jähriges NSDAP-Mitglied, dem Bronner sein Geschäft nicht überlassen wollte, wandte sich im November 1938 zornig an die für „Arisierungen“ zuständige Vermögensverkehrsstelle und beschwerte sich über Bronner.6 Auf Dauer hatten die Bronners keine Chance: Nachdem Vater Jakob und Sohn Oskar Bronner in das KZ Dachau verschleppt worden waren, wurden sie ihres Geschäfts, später auch ihrer Wohnung beraubt. Während Oskar Bronner die KZ-Haft nicht überlebte, entließ man seinen Vater nach einiger Zeit wieder. Sein Sohn Gerhard, der zu diesem Zeitpunkt eine Lehre als Schaufensterdekorateur absolvierte, floh zunächst über die „grüne Grenze“ in die Tschechoslowakei. Dort hielt er sich in Brünn/Brno mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, wurde jedoch im Herbst 1938 wieder ausgewiesen. Daraufhin erreichte er auf einem Schiff über die Donau das Schwarze Meer und reiste von Konstanza aus mit der Draga, einem Frachter, weiter. Auf dem Schiff befanden sich insgesamt 4.500 Flüchtlinge – zumeist aus Österreich –, die schließlich wohlbehalten Palästina erreichten. .7 Bronners Eltern bemühten sich derweil vergebens, ein Land zu finden, das sie aufnahm. Rosa und Jakob Bronner wurden zunächst gezwungen, in eine „Sammelwohnung“ in der Franz-Hochedlinger-Gasse im zweiten Bezirk umzuziehen, und wurden im Mai 1942 ins Vernichtungslager Maly Trostinec deportiert und ermordet.8 Ihr Sohn Gerhard Bronner, der als einziges Mitglied der Familie die NS-Verfolgung überlebte, wurde einer der bekanntesten und beliebtesten Kabarettisten der Zweiten Republik. Er starb 2007 hoch geehrt in Wien. Sein ältester Sohn Oscar, der noch im Exil in Haifa geboren wurde, gründete 1970 das Nachrichtenmagazin Profil und 1988 die Tageszeitung Der Standard, die er noch heute herausgibt.

MATTHIAS KAMLEITNER

  1. 1) Vgl. Ari Rath, Von Wien nach Palästina. Ein ruhmreiches, unbeachtetes Epos, in: Angelika Hagen/Joanna Nittenberg (Hg.), Flucht in die Freiheit. Österreichische Juden in Palästina und Israel, Wien 2006, 155-190, 117, 167-168; Doron Rabinovici, Die Suche nach dem Ausweg. Die Organisation von Flucht und Rettung 1938-1941, in: Angelika Hagen/Joanna Nittenberg (Hg.), Flucht in die Freiheit. Österreichische Juden in Palästina und Israel, Wien 2006, 99-128, 104.
  2. 2) Gerhard Bronner, Spiegel vorm Gesicht. Erinnerungen, München 2004, 57-74
  3. 3) Vgl. WStLA, Meldeanfrage, MA 8 – B-MEW-722246/2015, 15. 9. 2015.
  4. 4) In Lehmanns Adressbuch aus 1938 scheint Jakob Bronners Geschäft als Modewarenbetrieb auf. Vgl. Wiener Adreßbuch. Lehmanns Wohnungsanzeiger 79 (1938), Band 2, 266.
  5. 5) Die Februarkämpfe des Jahres 1934 waren eine militärische Auseinandersetzung zwischen dem Republikanischen Schutzbund (der Wehrformation der SDAP) und den aufseiten der austrofaschistischen Regierung kämpfenden Kräften (den paramilitärische Heimwehren, der Polizei und dem Militär). Den Kämpfen war die durch die austrofaschistische Regierung herbeigeführte Ausschaltung demokratischer Institutionen wie dem Parlament und des Verfassungsgerichtshofs vorausgegangen, sowie das Verbot mehrerer politischer Parteien und des Republikanischen Schutzbundes. Nach den Februarkämpfen wurde auch die SDAP verboten. Zahlreiche ihrer Mitglieder wurden inhaftiert und/oder in Anhaltelager eingewiesen. Einige der Februarkämpfer wurden hingerichtet.
  6. 6) Vgl. ÖStA, AdR, EuRANG, VVSt, Statistik, 1427 (Jakob Bronner).
  7. 7) Vgl. Gerhard Bronner, Spiegel vorm Gesicht. Erinnerungen, München 2004, 70-72.
  8. 8) Vgl. DÖW, Opfersuche, URL: http://www.doew.at (Einträge Jakob und Rosa Bronner, 22. 7. 2015).

Schicksale