Die „braune“ Wieden: NS-Wahlerfolge und ihre Ursachen

Plakat NSDAP

NSDAP-Plakat im Wiener Gemeinderatswahlkampf, April 1932. Der Antisemitismus der „Braunen“ war beispiellos aggressiv – radikalisierte aber letztlich nur die Judenfeindschaft, die in weiten Teilen der bürgerlichen Parteien schon lange vorgeherrscht hatte. (Foto: ONB 161.513 – B)

Die Wieden war einer jener Bezirke, in denen die NSDAP ab Anfang der 1930er Jahre einen besonders hohen Zulauf verzeichnete. Bei der letzten Gemeinderatswahl der Ersten Republik im April 1932 fuhr die NSDAP im vierten Bezirk einen sensationellen Erfolg ein und gewann fast doppelt so viele Prozentpunkte wie im Wiener Durchschnitt.1 Im Vergleich zum benachbarten Margareten, wo das Wahlergebnis völlig anders ausfiel, lassen sich soziostrukturelle Ursachen für den Erfolg der Wiedner Nazis ausmachen.

Berufe_wieden_margareten_wien

Berufsgliederung Wieden-Margareten-Wien: Eine wesentliche Ursache für den Erfolg der NSDAP auf der Wieden war die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung. Mittelschichten, die im 4. Bezirk stark vertreten waren, neigten traditionell nach rechts. Die Arbeiterschaft, die auf der Wieden deutlich unterrepräsentiert war, wählte dagegen überwiegend links.

 

Einerseits lag der Erfolg in der sozialen und wirtschaftlichen Struktur des Bezirks begründet: Auf der Wieden waren im Verhältnis knapp doppelt so viele Menschen in freien Berufen tätig wie in Margareten. Auch der öffentliche Dienst, die Finanz- und Versicherungswirtschaft sowie der Handel bildeten auf der Wieden wesentlich stärkere Berufsgruppen als im wirtschaftlich schlechter gestellten Margareten.

Historische Wahlanalysen zeigen deutlich, dass Beschäftigte in all diesen Sparten traditionell stark zu bürgerlichen Parteien (Christlichsoziale und Deutschnationale) tendiert hatten.2 Seit Ende der 1920er-Jahre radikalisierte sich die Basis der bürgerlichen Parteien zusehends. Als Folge dessen ging die Großdeutsche Volkspartei innerhalb von wenigen Jahren faktisch in der NSDAP auf. Auch viele ehemalige AnhängerInnen der Christlichsozialen Partei, vor allem im städtischen Bereich, schlossen sich den „Braunhemden“ an.

wahlergebnisse_1927-1932 Wieden Margareten

Gemeinderatswahlergebnisse in Wieden, Margareten und Wien im Vergleich (Angaben in Prozent).

 

ArbeiterInnen in Industrie und Gewerbe wählten – zumal in der Bundeshauptstadt – ganz überwiegend links, sie bildeten die treueste Wählergruppe der Sozialdemokratie. Daran änderte sich bis zur Errichtung der austrofaschistischen Diktatur nichts. Dem Nationalsozialismus gelangen unter legalen Rahmenbedingungen kaum Stimmenzuwächse bei der Wiener Arbeiterschaft. 3

Während jene Bevölkerungsgruppen, die überwiegend nach rechts tendierten, auf der Wieden stärker vertreten waren als im Wiener Durchschnitt, blieb die Arbeiterbewegung, die andernorts ein Gegengewicht bildete, im vierten Bezirk unterrepräsentiert: Im benachbarten Margareten lag der Anteil von Industrie- und GewerbearbeiterInnen um 15 Prozentpunkte höher als auf der Wieden. 4

Die Sozialdemokratie konnte ihre Position bei den Wahlen 1932 sowohl im vierten als auch im fünften Bezirk mit minimalen Verlusten halten. Demgegenüber hörte die Großdeutsche Volkspartei in beiden Bezirken faktisch auf zu existieren, und auch die Christlichsozialen erreichten das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Die NSDAP konnte sowohl auf der Wieden als auch in Margareten ihre Stimmenanteile mehr als versiebenfachen: In Margareten fiel ihr damit jede fünfte, auf der Wieden sogar fast jede dritte Stimme zu.

Einen zentralen Anknüpfungspunkt für die NS-Propaganda im bürgerlichen Wählersegment bildete der Antisemitismus. Die Wiener Landesorganisation der Christlichsozialen Partei stand innerparteilich weit rechts. Judenfeindlichkeit hatte hier traditionell eine wesentlich größere Bedeutung im politischen Alltag und im Selbstverständnis der Parteibasis als in den westlichen Bundesländern.5

Mantler Cafe judenfrei

Einer von vielen. Der stolze Cafetier Josef Mantler vor seinem Betrieb in der Treitlstraße 4, in dem jüdische Gäste seit dem „Anschluss“ nicht mehr erwünscht sind. (Foto: ONB Inventarnummer S 278/19)

 

Florian Wenninger

  1. 1) Wienweit erzielte die NSDAP bei den Gemeinderatswahlen 17,4 %, auf der Wieden 31,1 %, Vgl. Maren Seliger/Karl Ucakar, Wien. Politische Geschichte 1740–1934. Entwicklung und Bestimmungskräfte großstädtischer Politik, Teil 2: 1896–1934, Wien–München 1985, 1173.
  2. 2) [1] Vgl. Jürgen Falter/Dirk Hänisch, Wahlerfolge und Wählerschaft der NSDAP in Österreich 1927–1932. Soziale Basis und parteipolitische Herkunft, in: Jürgen Falter (Hg.), Zur Soziographie des Nationalsozialismus. Studien zu den Wählern und Mitgliedern der NSDAP, Köln 2013, 233–259, 244; Seliger/Ucakar, Wien, 1157. Zu den bürgerlichen Wahlergebnissen 1919–1927 siehe ebd., 1167–1172.
  3. 3) Jürgen Falter (Hg.), Zur Soziographie des Nationalsozialismus. Studien zu den Wählern und Mitgliedern der NSDAP, Köln 2013
  4. 4) Wieden: 34,3 %, Margareten: 49,8 %, berechnet jeweils als Anteil der nach Berufsgliederung zuordenbaren Personen auf Basis der Volkszählung 1934, vgl. Bundesamt für Statistik , Ergebnisse, Ergebnisse, 3.
  5. 5) Siehe Florian Wenninger, „Für das ganze christliche Volk eine Frage auf Leben und Tod“. Anmerkungen zu Wesen und Bedeutung des christlichsozialen Antisemitismus bis 1934, in: Ilse Reiter/Gertrude Enderle-Burcel (Hg.), Antisemitismus in Österreich 1933–1938, Wien–Köln–Weimar 2017.] Auch die katholische Kirche beförderte den Antisemitismus, auf der Wieden etwa durch das Pfarrblatt der Pfarre St. Elisabeth.[ Vgl. Nina Scholz/ Heiko Heinisch, „…Alles werden sich die Christen nicht gefallen lassen“. Wiener Pfarrer und die Juden in der Zwischenkriegszeit, Wien 2001, 26.

Die braune Wieden