Ein Wiedner Mitglied der Revolutionären Sozialisten, der spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky, war seinen Memoiren zufolge von den Nazis für den ersten Transport nach Dachau vorgesehen gewesen. Kreisky hatte während des Austrofaschismus zu den Angeklagten eines großen Schauprozesses gegen linke Oppositionelle gehört – des sogenannten Sozialistenprozesses 1936 – in dem er zu einem Jahr Kerker verurteilt worden war. Am 15. März 1938 wurde Kreisky neuerlich verhaftet, diesmal von der Gestapo. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft brachte man ihn zunächst in ein provisorisches Gefängnis, das in einer ehemaligen Volksschule in der Karajangasse im 20. Bezirk eingerichtet worden war. Hier waren die meisten inhaftierten Juden eingesperrt.1 Wie Kreisky dem Transport entging, schilderte er später selbst:
„Als die Liste mit den Namen derer verlesen wurde, die für den Transport nach Dachau bestimmt waren, wurde auch mein Name aufgerufen, und ich meldete mich. In dem allgemeinen Durcheinander ging das unter. Und beim zweiten Mal wurde ich nicht mehr aufgerufen. […] Später habe ich erfahren, dass einer der damals wachhabenden Polizisten, ein alter Sozialdemokrat – der Bruder eines mir bekannten Gewerbetreibenden auf der Wieden – offenbar gesagt hat, dass bei der Schlamperei, der auch die deutschen Nazis zum Opfer gefallen sind, es durchaus passieren könne, dass es den Kreisky gar nicht gibt. Im Gegensatz zu den meisten Häftlingen wusste er, was Dachau bedeutete, und so bin ich das erste Mal davongekommen.“2
Später von der Gestapo im Hotel Metropol brutal verhört und gefoltert, wurde Kreisky ins Wiener Landesgericht I gebracht, wo er für sein Versprechen seiner umgehenden Ausreise entlassen wurde. Anders als angekündigt entschied sich Kreisky aber dagegen, nach Bolivien auszureisen, und flüchtete stattdessen auf illegalem Wege – sein Pass war nur für manche Länder Europas ausgestellt – nach Schweden, wo er den Krieg überlebte und eine zentrale Figur des sozialdemokratischen Exils wurde.