Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich begannen in Wien massive Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung.1 Jüdinnen und Juden mussten als „Hausdurchsuchungen“ deklarierte Plünderungsaktionen über sich ergehen lassen, bei denen Wiener AntisemitInnen und NS-AnhängerInnen nach Lust und Laune vor allem Bargeld, Schmuck, Kleidungsstücke, Teppiche, Kunstwerke und Mobiliar raubten. Ebenso erklärten sich im März und April 1938 Tausende Personen zu „kommissarischen Verwaltern“ von Betrieben jüdischer BesitzerInnen. Das war auch nach der damaligen Gesetzeslage illegal, wurde aber von den Behörden zunächst gedeckt. Zu diesen „wilden Kommissaren“ zählten Angehörige der NSDAP und SA sowie der diversen Gliederungen der NSDAP und auch MitläuferInnen, die sich ansonsten wenig um Politik kümmerten. Aber auch antisemitische NachbarInnen und Personen, die ihre materielle Situation – auf Kosten von Jüdinnen und Juden – verbessern wollten, beteiligten sich. 2 Sogenannte „alte Kämpfer“ der NSDAP betrachteten „Arisierungen“ als „Wiedergutmachung“ für ihre Aktivitäten in der Zeit des Austrofaschismus, in der die Partei nur in der Illegalität operieren konnte. Auch Angestellte von Betrieben mit jüdischen EigentümerInnen sahen die Gunst der Stunde gekommen. Sie ernannten sich selbst zu den neuen InhaberInnen der Geschäfte, verwehrten den jüdischen EigentümerInnen den Zutritt, griffen in die Kassen, bedienten sich an Warenlagern und/oder führten die Betriebe weiter.
Da derartige private Raubzüge völlig überhandnahmen, bemühten sich NS-Stellen um eine Eingrenzung und versuchten der Beraubung zumindest nachträglich einen scheinlegalen Anstrich zu geben. Daher wurde im April 1938 zunächst ein Gesetz über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissarischen Überwachungspersonen erlassen. 3 Mit der Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens 4 wurden überdies all jene Beschlagnahmungen und Entziehungen legalisiert, die direkt von der Gestapo und Gliederungen der NSDAP vorgenommen worden waren. Tatsächlich verfolgte die Polizei aber auch diejenigen nicht, die auf eigene Faust Eigentum von Jüdinnen und Juden geraubt hatten.
Zwei weitere zentrale Maßnahmen, um den Raub des Eigentums von Jüdinnen und Juden staatlich zu kontrollieren, waren später die Vermögensanmeldung 5 und die Gründung der Vermögensverkehrsstelle (VVSt) im Mai 1938. Jüdinnen und Juden mussten auf einem eigenen Formular genaue Angaben über ihren gesamten Besitz machen, sofern dieser den Wert von 5.000 Reichsmark überstieg. Die Informationen mussten an die neu gegründete Vermögensverkehrsstelle übermittelt werden, 6 die dem Ministerium für Wirtschaft und Arbeit unterstellt war. 7 Der VVSt oblag nicht nur die Verwaltung der Vermögensanmeldungen, sondern auch die Entwicklung eines bürokratischen Ablaufs für Zwangsenteignungen. Beide Maßnahmen wurden als Reaktion der „wilden Arisierungen“ von diversen Ministerien und politischen Stellen in Österreich konzipiert und letztlich mit Zustimmung der Reichsministerien für das gesamte Deutsche Reich gesetzlich verankert.
Im Laufe des Jahres 1938 entwickelte die Vermögensverkehrsstelle einen Enteignungsablauf, der Jüdinnen und Juden das Verfügungsrecht über ihr Eigentum systematisch entzog. Es wurden standardisierte Formulare entworfen, die entweder von den jüdischen EigentümerInnen oder den „kommissarischen VerwalterInnen“ ausgefüllt werden mussten. Neben Angaben zur Person wurden vor allem Informationen über das jeweilige Unternehmen (Name, Standort, Umsatz 1937, Angestellte, etc.) abgefragt. Jene Personen, die ein Geschäft „arisieren“ wollten, mussten ebenfalls ein eigenes Formular unterfertigen. Sämtliche Formulare wurden dann je nach Wirtschaftszweig an die ReferentInnen der VVSt übertragen. Sie prüften die Unterlagen und holten bei Bedarf weitere Informationen über berufliche und politische Eignungen der „Arisierungs-BewerberInnen“ ein. Zugleich wurde überprüft, inwieweit der Fortbestand des Betriebs nach den Zielsetzungen nationalsozialistischer Wirtschaftsplaner wünschenswert erschien. Hierfür gaben der Handelsbund, der Reichsnährstand, die Zünfte und die Standesvertretungen entsprechende Empfehlungen ab. Wurde die Weiterführung eines Betriebs grundsätzlich als sinnvoll erachtet, leitete die VVSt die Überführung in „arische Hände“ ein. „AriseurInnen“ mussten mit den bisherigen EigentümerInnen einen schriftlichen Vertrag in Form eines „Kaufvertrages“ abschließen, welcher der VVSt als Grundlage für die Erteilung der Genehmigung zur „Arisierung“ diente. Unter welchen Umständen die „Einwilligungen“ der rechtmäßigen BesitzerInnen zustande kamen, lässt sich unschwer vorstellen: Massive Einschüchterungen, Drohungen, Denunziationen und mutwillige Zerstörungen standen an der Tagesordnung. Bei einem Jahresumsatz von 50.000 Reichsmark oder mehr ließ die VVSt den Betrieb von einem Wirtschaftsprüfer begutachten. Die politische Eignung der potentiellen „AriseurInnen“ wurde durch „politische Zeugnisse“ der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen belegt. Nach der Genehmigung berechnete die VVSt den „Kaufpreis“ und die „Arisierungsauflage“ und schrieb diese der/dem „AriseurIn“ vor. Ob die „Kaufpreise“ tatsächlich an die enteigneten BesitzerInnen oder auf die sogenannten „Sperrkonten“ bezahlt wurden, ist in jedem „Arisierungsfall“ unterschiedlich und oftmals aus den vorliegenden Akten nicht nachvollziehbar. 8
Die Politik der NS-Stellen zielte darauf ab, Jüdinnen und Juden aus dem Wirtschaftsleben zu verdrängen und sie zur Auswanderung zu zwingen, indem man ihnen die Existenzgrundlage raubte. In vielen Fällen ging es darüber hinaus um die Honorierung „verdienter“ Nationalsozialisten. 9
- 1) Vgl. Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39, Wien 2008, 126–136.
- 2) Vgl. Hans Safrian/Hans Witek, Und keiner war dabei. Dokumente des alltäglichen Antisemitismus in Wien 1938, Wien 2008, 23–27; Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39, Wien 2008, 126–136.
- 3) GBfLÖ 80/1938, Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissarischen Überwachungspersonen vom 13. 4. 1938.
- 4) GBfLÖ 589/1938, Bekanntmachung der Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens im Lande Österreich vom 18. 11. 1938.
- 5) GBfLÖ 102/1938, Bekanntmachung der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.04.1938.
- 6) Vgl. ebenda.
- 7) Vgl. ÖStA, AdR, Bürckel Rot, Kt. 62, Mappe 2120/2, zit. nach: Gertraud Fuchs, Die Vermögensverkehrsstelle als Arisierungsbehörde jüdischer Betriebe, Dipl. Arb., Wien 1989, 30.
- 8) Diese Analyse basiert auf der Sichtung und Auswertung der Akten im Bestand der VVSt. Vgl. ÖStA, AdR, EuRANG, VVSt.
- 9) Vgl. Berthold Unfried, „Arisierung“ und Restitution Wiener Cafés in: Ulrike Felber/Peter Melichar/Markus Priller/Berthold Unfried/Fritz Weber (Hg.), Ökonomie der „Arisierung“. Band 10/2: Wirtschaftssektoren, Branchen (Zwangsverkauf, Liquidierung und Restitution von Unternehmen in Österreich 1938 bis 1960, Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission 10/2), Wien 2004, 865–889; Hans Witek, „Arisierungen“ in Wien. Aspekte nationalsozialistische Enteignungspolitik 1938–1940, in: Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer/Reinhard Sieder (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2002, 804–807; Theodor Venus/Alexandra-Eileen Wenck, Die Entziehung jüdischen Vermögens im Rahmen der Aktion Gildemeester (Veröffentlichung der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 20/2), Wien–München 2004, 295–299.