Von März 1938 bis Ende Oktober 1941 mussten schätzungsweise 130.000 ÖsterreicherInnen die Flucht ins Ausland antreten. Das Gros dieser EmigrantInnen waren aufgrund der Nürnberger Rassegesetze als Jüdinnen und Juden verfolgte Menschen. Die weitaus meisten Fluchten aus dem „angeschlossenen“ Österreich fanden bis Mai 1939 statt, mit einem Höhepunkt im August 1938.1
In Wien nahm die jüdische Bevölkerung auf diese Weise bis Ende 1938 um mehr als 51.000 Personen ab. Weitere 53.000 verließen Österreich im Jahr 1939. Auch die Mehrzahl der Jüdinnen und Juden des vierten Wiener Gemeindebezirks trat in den ersten beiden Jahren nach dem „Anschluss“ Österreichs die Flucht ins Ausland an. Vereinzelt gelang einigen noch 1940 die Ausreise.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs geriet die Emigration der jüdischen Bevölkerung jedoch ins Stocken, weil nach und nach die Fluchtwege über Italien, die Niederlande und Frankreich abgeschnitten wurden. Im Jahr 1940 gelang daher nur noch 4.000 Wiener Jüdinnen und Juden die Flucht, 1941 gar nur noch 700. In den darauffolgenden Kriegsjahren war bis auf wenige Ausnahmen gar keine Ausreise mehr möglich. 2
Ausschlaggebend dafür war der Auswanderungsstopp, den das Reichssicherheitshauptamts (RSHA) am 23. 10. 1941 verfügte. 3 Ab diesem Zeitpunkt war an eine legale Auswanderung nicht mehr zu denken.
Zeitpunkt der Flucht von der Wieden (Angaben in Prozent). 4
Der überwiegende Teil der österreichischen Flüchtlinge suchte zunächst in Frankreich, der Tschechoslowakei, den Beneluxstaaten sowie in Großbritannien und Italien Schutz5 – so auch die geflohenen WiednerInnen, die vor allem über Italien, die Niederlande, Frankreich und Italien emigrierten. Ihre Zielländer lagen mehrheitlich jedoch in Übersee, insbesondere in den USA, Asien (hier besonders die „freie Stadt“ Shanghai), Australien und Lateinamerika.
MATTHIAS KAMLEITNER
Transitländer von Wiedner Flüchtlingen (Angaben in Prozent). 6
Aufnahmeländer von Wiedner Flüchtlingen
- 1) Vgl. Peter Schwarz/Siegwald Ganglmair, Emigration und Exil 1938–1945, in: Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer/Reinhard Sieder (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, 817–849, 817.
- 2) Vgl. Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945, Wien 1999, 41–55.
- 3) Vgl. Schwarz/Ganglmair, Emigration und Exil 1938–1945, in: Tálos/Hanisch/Neugebauer/Sieder (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich, 817–849, 818.
- 4) N=250
- 5) Vgl. Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945, Wien 1999, 72–79.
- 6) N=132